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Prüfung Betriebswirt/IHK vom 11. Juni: Die BSC-Frage |
Am 11. Juni, also gestern, schwitzten bei hochsommerlichen Horrortemperaturen und lastender Schwüle wieder die Teilnehmer der Betriebswirte-Lehrgänge über den Prüfungen, und die Prüfung Qualitätsmanagement liegt mir jetzt vor. Hierzu ergibt sich insbesondere zu Frage 6 und der dem zugehörigen Lösungsvorschlag ein Problem, das dieser kleine Beitrag anzugehen versucht. |
Das Konzept der Balanced Scorecard |
Vor etwas über einem Jahrzehnt schrieben Robert S. Kaplan und David P. Norton einen Aufsatz über Performance Measurement, der ein System selbstgewählter Kennzahlen vorschlug, durch die ein Unternehmer konkret auf seine individuelle Situation bezogen Visionen in Realitäten umsetzen konnte. Das Verfahren wurde schnell als Balanced Scorecard bekannt, etwa "ausgewogene Anzeigetafel" (aber keiner übersetzt das wirklich - vielmehr hat sich "BSC" als Abkürzung eingebürgert). Inzwischen ist das Verfahren weit verbreitet, denn durch seine Flexibilität eignet es sich für die verschiedensten Branchen und Situationen, und das hat es traditionellen Kennzahlensystemen voraus. |
Der Kerngedanke |
Kerngedanke ist, daß Kennzahlen, die der Controller zunächst selbst gestalten muß, nach Sichtweisen pder Perspektiven gegliedert werden. Etwa lassen sich Kennzahlen zur Finanz-, zur Markt- und zur Prozeßperspektive finden: Rentabilität oder Cash Flow wären etwa Finanzprobleme, Beschwerdequote, Kundenzufriedenheit oder Lieferbereitschaft wären Marktkennzahlen und Fehlerraten, Prozeßfähigkeit, Qualitätsfähigkeit oder einfach Produktivität wären Prozeßkennzahlen. |
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit |
Ein besonderer Vorteil ist, daß das System sich an beliebige Märkte und Unternehmen anpassen kann - immer lassen sich Kennzahlen und ihre Wechselwirkungen darstellen, und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung ableiten. Das macht das System für das QM so beliebt - und für manche Lernende so schwer, nämlich für die, die auswendig lernen anstatt zu verstehen. So erscheinen auch Vierfeldermodelle, die neben den drei vorstehend gezeigten Bereichen "Finance", "Market" und "Process" noch "Innovation & Learning" einführen. Das wurde von Kaplan und Norton 1992 selbst am Beispiel eines Halbleiterbauers vorgeschlagen, ist aber schon eine Anpassung des Grundmodelles an eine konkrete Situation, also eine Anwendung. |
Frage, Antwort und Fairneß |
Frage 6a der vorliegenden Prüfung lautete "erläutern Sie kurz die Balanced Scorecard und ordnen Sie den vier Perspektiven (Feldern) die obengenannten Kennzahlen zu". Zuvor sollte der Prüfungsteilnehmer eigene Kennzahlen bestimmen, die nunmehr zu verwenden waren. Hieran sind zwei Dinge problematisch: |
Die Prüfung und das Problem mit QM |
Obwohl sich die Prüfungen nach Inhalt und Aufbau seit (oder wegen??) unserer ersten Kritik erheblich verbessert haben, sind sie immer noch ein machtvolles Symptom für ein grundsätzliches Dilemma des QM: Immer komplexere Verfahren und Methoden, die sich hinter immer schöneren Abkürzungen verbergen - EFQM, QFD, FTA, FMEA - verdecken eigentlich die immer größere Lüge, denn in einer Gesellschaft, in der das Arbeitsverhältnis ein auf Beraubung des Arbeitnehmers durch Pflichtversicherungen und Finanzämter gerichtetes Zwangsverhältnis ist, wundert es nicht, daß Arbeitnehmer einer "Dienstleistungsgewerkschaft" gegen die Erbringung von Dienstleistungen an Samstagen streiken. Solange sich in der Gesellschaft nichts ändert, und danach sieht es nach Jahrzehnten des Reformstaus und des Stillstandes leider immer noch aus, ändert sich auch in den Unternehmen nichts, und es wundert nicht, daß der Spruch geht, man könne ein Unternehmen mit Glücksspiel am schnellsten, mit Frauen am schönsten und mit Qualitätsmanagement am gründlichsten ruinieren. |
Das Leben und die Lüge |
Das spüren auch die Teilnehmer, die genau wissen, daß das, wonach da in den QM-Prüfungen gefragt wird, mit dem Leben im allgemeinen und ihrer Arbeit im besonderen nichts zu tun hat. Und daher spüren es auch die Dozenten, die oft schon Gegenwind bekommen, wenn sie nur "Qualitätsmanage..." gesagt haben. Das böse "Q-Wort" ist so beliebt wie hier (in der ehemaligen DDR) einst die Parteisitzungen, und mancher alter Parteikadaver würde vor Glück im Dreieck springen, hörte er die Selbstverpflichtungen und Qualitätsziele und Qualitöter, kein Staatsratsvorsitzender hätte das je besser gekonnt. |
Eine grundlegende Reform |
Wohlgemerkt, ich kritisiere nicht, daß nach der BSC gefragt wurde (wer durch meine Lehrgänge ging, sollte den Begriff kennen), sondern nur, daß es mit dem Ausschließlichkeitsanspruch "der" vier Sichtweisen geschieht, und zuvor so blaß vermittelt wird. Daß eine grundsätzliche und durchgreifende Reform des Rahmenstoffplanes und aller IHK-Textbände seit Jahren überfällig ist, wird mE nach durch diesen Fall nur noch deutlicher - und diese Reform sollte nicht darin bestehen, alte Inhalte in die neue Schlechtschreibung zu setzen aber inhaltlich nicht zu verändern. Nach Abschluß der Prüfungen, also im Spätsommer/Herbst, werde ich möglicherweise an dieser Stelle Vorschläge machen. Daß die bei der DIHK Bildungs GmbH gelesen werden, weiß ich genau - ein Blick in das Serverprotokoll genügt. Daß man die Selbstdenker von außen auch ernstnimmt, wage ich allerdings mangels eines gegenteiligen Beweises zu bezweifeln... |
Links zum Thema |
Die IHK-Textbände: Warum sie schlecht sind, weshalb man sie dennoch braucht und wo man sie herkriegt | Wie Lieschen Müller sich das Qualitätsmanagement vorstellt | So wenig QM bis heute! | Warum Qualitätsmanagementsysteme scheitern (interne Linkss) |
Literatur zum Thema |
Kaplan, R.S. / Norton, D.P.: "The Balanced Scorecard Measures That Drive Performance", in: Harvard Business Review 1991, S. 72-79. |
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Im Gedenken an Harry Zingel, ✟ 12. August 2009
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