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Die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfungskette: mehr unzeitgemäße Erwägungen

Nachdem wir uns gestern ausgehend von einem Posting im Forum für Betriebswirtschaft über die innerbetriebliche Wertschöpfungskette (u.a. nach Porter) Gedanken machten, die teilweise recht unzeitgemäß und daher wertvoll weil selten waren, befassen wir uns heute mit der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Diese ist nicht nur prüfungsrelevant in zahlreichen Prüfungen über Volkswirtschaft wie auch über strategisches Marketing, sondern zugleich auch eine Art Fortsetzung der innerbetrieblichen Variante. Und wie nicht anders zu erwarten nutzen wir dies für mehr unbotmäßige Gedanken.

Die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfungskette (nicht nach Porter)

Wertschöpfung definierten wir als Wertzuwachs, der durch marktgemäße Kombination von Produktionsfaktoren im Rahmen des betrieblichen Leistungsprozesses entsteht. Der Betrieb ist damit ein Nutzenoptimierer in dem Sinne, daß er Güter herstellt, die anderen Personen nützen, und damit seinen eigenen Nutzen maximiert. Die zugrundeliegende Definition war, daß ein Gut sei, was Nutzen bringe, also was die Bedürfnisse des Menschen befriedigt oder wenigstens theoretisch (nämlich bei Verfügbarkeit) befriedigen könne. Dieser "einfache und natürliche" (A. Smith) Gedanke zur innerbetrieblichen Leistungserstellung läßt sich auch auf die Gesamtwirtschaft ausdehnen, was eigentlich sogar die ältere Idee ist, denn der Faktorbegriff wurde ja zunächst gvon Marx und Anderen in gesamtwirtschaftlichem Zusammenhang in die Diskussion eingeführt. Und auch dieses können wir als Wertkette in einer Grafik darstellen:
Die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfungskette
(Quelle: H. Zingel, Stichwort "Wertschöpfung", in "Lexikon für Rechnungswesen und Controlling", in: "BWL CD", Eigenverlag, Erfurt 1998-2003).

Prüfungsrelevant: Strategien entlang der Wertkette

Die vorstehende Grafik visualisiert die Transformation von Produktionsfaktoren von der Urproduktion (primärer Sektor) über die verarbeitende Wirtschaft (sekundärer Sektor) zur Dienstleistung (tertiärer Sektor) bis hin zum quartären Informationsgewerbe. Auf jedem Schritt in dieser sukzessiven Wertkette steigt dabei der Nutzen und damit der Marktwert von Gütern - jedenfalls dann, wenn, wie gestern angenommen, die Wirtschaft wirklich der Austausch nützlicher Güter ist.
Horizontale Integration: In diesem Fall schließen sich Unternehmen gleicher Stufe in der Wertschöpfungskette aber unterschiedlicher Branchen zusammen, im Beispiel zwei Urproduzenten oder zwei Händler. Dies ist in der Regel eine Diversifikationsstrategie, d.h., dient der langfristigen Risikoabsicherung: geht es einer Branche schlecht, kann das in beiden Branchen tätige Gesamtunternehmen noch immer mit der anderen Branche weiterleben. Die Deckungsbeitragsrechnung, die wir im BWL Boten bereits diskutiert haben, ist ein gutes Maß um festzustellen, was sich "lohnt" und was nicht (mehr).
Vertikale Integration: Unternehmen aufeinanderfolgender Stufen derselben Branche schließen sich zusammen. Das ist fast immer eine Spezialisierungsstrategie (Difgferenzierung) und eignet sich gut, Nischenmärkte zu besetzen. Kauft ein Unternehmen ein anderes nachfolgend in der Wertschöpfungskette (Verarbeiter I kauft nachfolgenden Verarbeiter II), so spricht man von Vorwärtsintegration; kauft ein Unternehmen ein früher in der Wertschöpfungskette stehendes anderes Unternehmen (Großhändler kauft Zulieferer), so ist dies eine Rückwärtsintegration.
Laterale Integration: Hier schließen sich Unternehmen verschiedener Stufen in der Wertschöpfungskette und verschiedener Branchen zusammen, etwa Händler und Verarbeiter verschiedener Bereiche. Man spricht auch von einem Konglomerat oder von konglomeraler Integration. Wegen der sachlich großen Ferne der vereinten Bereiche ist dies eine verschärfte Diversifikationsstrategie. Ein Konzern, der so unterschiedliche Bereiche umfaßt, heißt auch Mischkonzern.

Lebensrelevant: vom Austausch nützlicher Güter

Die dargestellten Strategien dienen der Optimierung des Wertflusses im Marktwettbewerb und sind damit Konkurrenzstrategien, die unternehmerischen Nutzen und zugleich gesellschaftlichen Nutzen optimieren sollen. Die Harmoniethese besagt, daß Eigennutz und Gemeinnutz harmonieren, d.h., wer sich selbst möglichst optimal nützt, stiftet zugleich auch (oftmals unintendiert aber dennoch wirksam) gesamtgesellschaftlichen Nutzen. Diese schon auf die schottischen Moralphilosophen zurückgehende These ist eine der theoretischen Grundlagen der Makroökonomie.

Entkoppelung von der Basis

Seit etwa den 60er Jahren findet zunehmend eine Loslösung der Wirtschaft von ihrer materiellen Basis, also eine Entkoppelung vom primären Sektor statt. Das ist einerseits der steigenden Produktivität geschuldet, andererseits aber auch soziodemographischen Faktoren wie hohen Arbeitskosten und ständig steigenden Umweltauflagen, die Urproduktion in Europa immer unattraktiver machen. Der Niedergang der eisenverarbeitenden Industrie im Ruhrgebiet ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung. Auf diese Art entstanden zugleich gravierende Abhängigkeiten von ausländischen Lieferanten, von denen nunmehr die Rohstoffe bezogen werden.
Zugleich ist aber auch ein Verfall des sekundären Sektors zu beobachten, also eine Entkoppelung auch vom sekundären Sektor, was wesentlich schlimmer ist. War es nämlich bis in Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders hinein die deutsche Strategie, Rohstoffe wenn schon nicht selbst zu erzeugen so doch zu veredeln, d.h., weltweit anerkannte Qualitätsprodukte zu erzeugen ("Made in Germany"), und damit einen erheblichen Wertfortschritt zu erzeugen, so geht auch die produzierende Industrie immer mehr den Bach runter: VW produziert längst in Mexiko viel mehr Autos als in Deutschland, und mit der bevorstehenden Einführung eines Zwangshandels mit "Klimascheinen" ab 2005 ist unschwer zu erraten, was die Industrie dann tun wird. Im Grunde hat diese Entwicklung schon in den frühen Siebzigern eingesetzt und gewann mit der Öffnung des Ostens nach dem Fall der Mauer zusehends an Rasanz: mußte man doch nicht mehr nach Taiwan oder sonstwohin wo die billigen Arbeitskräfte plötzlich gleich hinter dem Thüringer Wald auf Aufträge warteten.

Keine Dienstleistungsgesellschaft

Es heißt (u.a. bei Ogger, "König Kunde, angeschmiert und abserviert"), daß in Deutschland eine Dienstleistung zu erbringen als eine Erniedrigung empfunden werde, eine Dienstleistung zu fordern hingegen als Anmaßung betrachtet werde. Wer das nicht glaubt, möge vom Finanzamt (oder, besser: vom Arbeitsamt!) eine Auskunft am Telefon zu erfragen versuchen (braucht viel Geduld und gute Nerven), oder den Versuch unternehmen, am Sonntag einen Liter Milch zu kaufen: obwohl fast so viele Menschen arbeitslos sind wie zu Hitlers Machtergreifung, gibt es immernoch ein Ladenschlußgesetz, und mit ihm das böse aber zutreffende Wort von der Servicewüste.

Wir wagen eine Prognose

Es bleibt die Informationsgesellschaft, von der im Moment alle reden, aber mit Philosophie kann man nicht schießen, und mit Internet-Dateien auch nicht: die gegenwärtige Krise ist also im wesentlichen Hausgemacht, wobei nicht unbedingt das deutsche Haus gemeint ist. Doch während wir schon über die Ursachen der derzeitig offenbar werdenden Entwicklung spekuliert haben (und das hier nicht wiederholen), kann man auch eine Prognose versuchen:
Mehrfach in ihrer Geschichte ist es den Deutschen nämlich schlecht gegangen, und jedes Mal haben sie Systemwechsel herbeigeführt, nicht immer nach blutigem französischen Vorbild im Wege einer Revolution, und auch nicht immer mit den schrecklichen Folgen, die Revolutionen nunmal so an sich haben. In diesem Zusammenhang könnte man anmerken, daß ich 1848 nicht als Revolution verstanden haben möchte, sondern drei Hauptdaten als deutsche Revolutionen verstehe: Hitler, das Wirtschaftswunder und die Wende 1989/90.
Hitler war eine Folge der Weltwirtschaftskrise und des Zwangsfriedens von Versailles, und wenn nicht eine historische Notwendigkeit so doch eine Umwälzung der überkommen (oktroyierten) sozialen Lage Deutschlands der Weimarer Zeit, und die Nazizeit endete, wie Revolutionen enden, nämlich wiederum ganz nach französischem Vorbild in Krieg und Diktatur: dort Napoleon, hier Adolf, dort der Rußlandfeldzug, hier derselbe Fehler. Eine historische Parallele, die ungerne zugegeben wird, denn Napoleon darf man im Fernsehen feiern, Hitler (noch?) nicht.
Nach 1945 und nach 1989 war es aber anders, und das waren die wirklichen Revolutionen im positiven Sinne des Wortes: aus den Ruinen des Bombenkrieges verstanden die Deutschen, ein Wirtschaftswunder zu zaubern, vor dem Thatcher noch 1989 bei der Wiedervereinigung Angst hatte, wo es doch längst vorüber war, und nach dem Fall der Mauer schafften es die Deutschen, was die Koreaner bis heute nicht wagen, nämlich die Zusammenführung einst verfeindeter und einander bis an die Zähne bewaffneter Syysteme, beides in Frieden und in Wohlstand. Ja, in Wohlstand: ich habe den Völkermord in Rwanda gesehen und die Gewalt in Sri Lanka und in Indien, und verglichen damit geht es Deutschland gut, selbst mit vier millionen offiziellen (und vermutlich sechs Millionen faktischen) Arbeitslosen. Das waren beides außerordentliche Leistungen, Sernstunden der Geschichte.
Und das ist die Prognose: Wir tun es wieder. Wenn die Diskussionen über Verknappungen im Gesundheitswesen oder um immer neue Öko-Einschränkungen sich endlich ganz festgefahren haben, wenn alle politischen Kräfte ihr Versagen eingestehen und vom Volk verjagt werden wie einst Erich Honnecker, dann gibt es einen neuen Systemwechsel. Europa befördert diesen Wandel, denn es ist wie Versailles ohne Krieg, und wie die Lüge kurze Beine hat, so hat die Diktatur ein kurzes Leben: Tausend Jahre von 1933 bis 1945 oder vierzig Jahre DDR: je restriktiver sie sind, desto schneller graben sie ihr eigenes Grab. Und es ist nur zu hoffen, daß es auch das nächste Mal so friedlich und unblutig abgeht wie die beiden vorherigen Male.
Und dann gibt es vielleicht wieder eine Deutsche Demokratische Republik, d.h., wirklich unter deutscher Kontrolle und demokratisch und republikanisch wie einige Wochen nach dem Ende des alten Regimes 1989 und vor dem Einzug der neuen Macht aus dem Westen in den Neuen Bundesländern. In der kurzen Zeit, in der hier das totale Machtvakuum herrschte, war das Volk wirklich frei, hatte die DDR, die formal noch bis zum 2. Oktober 1990 existierte, ihren Namen verdient. Ich hoffe, daß diese Zeit wiederhommt. Ich hoffe auf eine neue DDR.

Links zum Thema

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