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Titel, Thesen, Teilnehmerschicksale, oder was ein Abschluß heute wert ist

Die Debatte, welcher der vielen Betriebswirte (Universität, Fachhochschule, VWA, IHK oder gar das jetzt auch in Deutschland zu habende Master-Degree) wieviel am Markt wert ist, lebt von Zeit zu Zeit immer wieder im Forum für Betriebswirtschaft auf. Bislang habe ich mich bei diesen Debatten immer enthalten - aber jetzt nehme ich doch einmal Stellung.

Karriereplanung per Papier

Es ist erstaunlich, daß viele Absolventen ihren beruflichen Lebensweg auf Abschlüsse aufbauen wollen: offensichtlich ist für sie ein Papier von fundamentaler Bedeutung - so wichtig, daß über den Wert des Papiers diskutiert wird, aber nur viel seltener über behandelte Inhalte, etwa persönliche Studienschwerpunkte oder die Themen und Ergebnisse der Diplomarbeit. Liegt das in der deutschen Seele, oder manifestiert sich da der Arbeitsmarkt?

Von Haftung und Potential

Ein Grundnutzen eines Titels besteht im Selbstschutz des Personalers, der den Titelinhaber einstellt: der Personalverantwortliche hat nämlich seine Sorgfalt bei der Auswahl des Stellenbewerbers unter Beweis gestellt, wenn er sich auf das Dokument einer Lehranstalt mit Note drunter verläßt, das ihm dieser vorgelegt hat.

Der egalitäre Ansatz schadet mehr als er nützt

Daß dabei der egalitäre Ansatz der immer noch von der 68er-Generation geprägten deutschen Bildungspolitik, mindestens alle Universitätsabschlüsse als gleichwertig anzusehen schon lange keine Geltung mehr besitzt, steht außer Frage: längst kursieren Ranglisten der Universitäten und Abschlüsse, und längst werden diese auch in Einstiegsgehältern bewertet - oft ohne Kenntnis des Stellenbewerbers. Das nützt nicht immer dem Studierenden, der oft gar nicht weiß, daß er an einer Uni (oder einem Studiengang) mit schlechtem Ruf studiert, was ihm einen Nachteil bei der Einstellung verschafft, den er mit unter gar nicht verdient hat. Das ähnelt vom Grundsatz her dem seit Anfang des Jahres ja noch verschärften Rechtszustand bei Arbeitszeugnissen.

Kräfte des Marktes oder doch nicht?

Hat sich die deutsche Bildungspolitik noch immer nicht zu einer konsequenten Eliteförderung etwa nach britischem, französischem oder US-amerikanischem Vorbild durchringen können, was Vorzüge und Nachteile der Bildungsstätten auch für ihre Studierenden transparent offenlegen und damit eine rationale Entscheidungsbasis bieten würde, so ist der alte Grundsatz der Gleichmacherei doch durch die Globalisierung schon ziemlich aufgeweicht. Warum wird also immer noch so sehr nach Papier und so wenig nach Potential gefragt? Vier Thesen stelle ich hier zur Debatte, über die dann trefflich debattiert und gestritten werden kann:

These 1: Man hat es nicht nötig

Bei Vierkommazweimillionen als Leitzahl der Gesellschaft hat es ein Personaler möglicherweise einfach nicht nötig, sich wirklich ein Bild vom Bewerber zu machen. Er hat einen überlaufenen Arbeitsmarkt mit Auswahl ohne Ende. Da erübrigt sich eine sorgfältige Personalauswahl; der Schein reicht. Und trügt der Schein, dann fliegt sein Inhaber - so einfach ist das.

These 2: Conscripted Labor als Leitbild

Ein conscript ist beispielsweise ein Wehrpflichtiger, also einer, der eine Arbeit zwangsweise leistet. Diese Form der Zwangsarbeit, die "außer im Rahmen einer herkömmlichen Allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht" (Art. 12 Abs. 2 GG) in Deutschland verboten ist, ist dennoch ein Leitbild der Arbeitswelt: man soll nichtselbständiger Arbeitnehmer sein und man soll fleißig Abgaben und Steuern zahlen, und mit ca. 75% realer Abgabenquote bei Arbeitnehmern möglichst auch nicht über die Wirtschaft im allgemeinen und die eigene Lage im Besonderen nachdenken, denn dann könnte man ja ins Grübeln kommen - oder selbständig werden, was staatsfeindlich ist, denn die Sozialversicherung, also die große gesellschaftliche Umverteilung, ist an die Nichtselbständigkeit gekoppelt, und der Selbständige kann sich dem erfolgreich entziehen. Die hier liegende große Aufgabe hat man in Berlin noch nicht in Ansätzen in Angriff genommen, aber seit Rürup vielleicht wenigstens in umrissen erkannt.

These 3: Papi wird's schon richten - aber wird er?

Die vorstehend geäußerte Vermutung, daß zwangsweise Rechtsverhältnisse ein Leitbild der Arbeitswelt sind, läßt sich auch auf den Bewerber erweitern, der dieses selber wünscht. Dann muß man nämlich kein Risiko tragen, kann nicht pleite gehen, denn Vater Staat, oder wer immer Papis Rolle in der vaterlosen Gesellschaft einnimmt, wird's ja schon richten. So lebt's sich's bequem, aber nicht mehr lange: daß der Sozialstaat am Ende ist, wissen wir nicht erst seit den Kürzungen im Gesundheitswesen und den düsteren Aussichten der Renten"versicherung". Dennoch scheinen viele Absolventen die Selbständigkeit gar nicht erst in Erwägung zu ziehen - warum? Die sogenannte "Theorie X" der Sozialpsychologie (und Motivationstheorie) könnte hier eine Antwort geben: diese postuliert nämlich, daß der Mensch von Natur aus faul sei und beherrscht werden wolle - Freiheit und Kreativität seien erschreckend und "zu schwierig". Unselbständigkeit und Duckmäusertum werde daher vorgezogen - ein Gedankengang, der zur Begründung autoritärer Führungstechniken verwendet werden kann. Sind die Deutschen immer noch ein Volk der Untertanen?

These 4: Der Sozialstaat ist versteinert

Die aktuelle Debatte um den Kündigungsschutz bring an den Tag, was eigentlich alle wissen, in der von den Gewerkschaften durchsetzten rot-grünen politischen Kaste aber lange kaum einer auszusprechen wagte: der Kündigungsschutz ist ein Einstellungshindernis, weil er das Risiko impliziert, einen Stellenbewerber später nicht mehr entlassen zu können. Dadurch entsteht eine Kostenremanenz, die das allgemeine unternehmerische Risiko verschärft - was auch nicht im Sinne des Arbeitnehmers ist, denn der Kündigungsschutz schützt nur die Stelleninhaber, nicht aber den Stellensuchenden, und letztere sind bald in der Überzahl, wenn es so weitergeht. Dies alles ist aber ein Symptom fortgeschrittener Petrifizierung, und das heißt, wie beim Menschen, ein Zeichen baldigen Ablebens: wenn sich nichts mehr bewegt, dann kommt der Sensenmann, das ist in Gesellschaften wie in der Natur. Leben heißt Veränderung, diese Lektion wurde nicht gelernt. Entlassenzuwerden ist nicht nur eine persönliche Katastrophe, sondern auch eine Chance, das Leben künftig anders, und vielleicht auch besser zu gestalten: Selbständigkeit, Umzug, Auswandern, oder einfach nur nebenan bei einer anderen Firma anfangen - das sind alles Optionen, die aber Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit fordern. Wer versucht, einen Status quo per Kündigungsschutz, Sozialversicherung und erdrückender Abgabenlast zu zementieren, gräbt sich seine eigene Grube - in die der Sozialstaat jetzt versenkt wird.

Links zum Thema

Forum für Betriebswirtschaft | Die sieben Pestilenzen des Mittelstandes | Die reale Steuer- und Abgabenlast bei Arbeitnehmern (interne Links)


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