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Vom deutschen Wesen, oder Heizkosten mitten im Sommer |
Letzten Samstag war es wieder so weit: in der dampfenden Schwüle eines Spätsommertages fahre ich zu meiner Samstagslehrveranstaltung vor, schon auf dem Parkplatz schweißgebadet. Gleich hinter der Eingangstür trifft mich fast der Schlag - der Flur ist völlig ungelüftet und enthält die abgestandene, noch viel dickere Luft des Vortages, drückend, schwer, belastend. Ich kämpfe mich über zwei Treppen zu meinem Veranstaltungsraum - und dort ereilt mich fast der Herzinfarkt: es ist geheizt. Mitten im Sommer ist die Heizung angesprungen. Das aber scheint außer mich keinen zu stören. Das ist beileibe nicht das erste Mal: Legende ist die Dame mittleren Alters, die mitten in einer meiner Veranstaltungen aufgesprungen ist, sich bei der Geschäftsleitung über mich beschweren. Ich hatte auf ein offenes Fenster bestanden - in einem Raum mit 30 Computern, in den zudem noch die Mittagssonne brüllte. Der zarte Lufthauch eines heißen Sommermittags war der Frau zu viel. Mit der Eisenbahn fahre ich schon lange nicht mehr, weil ich keine Lust auf dauernde Streitereien habe - über offene Abteilfenster, zum Beispiel. In einem Bus der Erfurter Verkehrsbetriebe habe ich mir mal den rechten Fuß verbrannt - an einer Heizung, auch im Sommer. Daß in der Straßenbahn, die ich schon lange nur noch von außen kenne die Fenster nicht aufgehen, versteht sich von selbst, man könnte ja lüften. Und einem (angestellten) Kollegen bei einem bekannten Erfurter Bildungszentrum mutet man noch Schlimmeres zu: im Computerraum im Obergeschoß unter einem Teerdach wurden schon 48°C gemessen. Planmäßige Durchführung der Lehrveranstaltungen wird erwartet. Nur die Computer fallen bisweilen hitzebedingt aus. Dies aber sind nicht isolierte Extrembeispiele, sondern Symptome. Vor Jahren lustweilte ich urlaubshalber in Viet Nam im tiefsten Mekongdelta, wo sich gute Hotels von schlechten durch ihre Klimaanlage unterscheiden: die Billigabsteigen hatten Klimageräte aus sowjetischer Produktion, deren Kompressoren wie Dieselmotoren lärmen, während gute (und zumeist neue) Hotels flüsterleise aber ebenfalls kühl waren - ein Gebäude ohne Klimatechnik? Undenkbar! Ein Gast, der Tropenschwüle ausgesetzt? Eine Zumutung! Nur die Deutschen bestanden darauf, Klimageräte und Lüfter beim Frühstück auszuschalten. "Es zieht!". Das kenne ich schon aus Ägypten: dort erkennt man die Zimmer, die mit deutschen Gästen beleget sind daran, daß die Klimaanlage nachts nicht summt: Deutsche machen die Dinger aus, der Rest dreht sie hoch. Ich war übrigens im Juli am Nil, und das war angenehmer als ein September in Erfurt. Auch das kein Einzelfall: in Florida sind deutsche Gäste bei den Hoteliers unbeliebt, denn sie neigen dazu, Klimageräte mit Handtüchern zu verstopfen (und so zu zerstören). Wie hier die Heizungen sind dort die Klimaanlagen manchmal nicht auszuschalten. Andere erfreuen sich an dem kühlen Luftzug, nur nicht die Deutschen. Die scheinen weltweit hitzefest zu sein: begegnet man in Kroatien in der Mittagshitze einem Jogger, so ist dieser vermutlich ein Deutscher. Der Rest des Landes hält Siesta. Beides selbst erlebt. Kein Wunder, daß die Costa del Sol auch "Teutonengrill" heißt. Der Gipfel aber war die Apotheke letzte Woche. Ich konnte die Klappe nicht halten und fragte als ich nach entnervender Warterei in der dicken Sommerhitze endlich zur Kasse vorgedrungen war die Apothekerin, warum die beiden Klimageräte denn nicht eingeschaltet seien, die doch genau über der Theke das Leiden der wartenden Kunden hätten lindern können. Das sei "ungesund", bekam ich zur Antwort, man würde sich davon doch "erkälten". Und ich dachte immer, Erkältungen seien Viruserkrankungen. Anscheinend hat die Apotheke da neue Erkenntnisse. Am deutschen Wesen soll die Welt zwar nicht mehr genesen, aber erhebliche nationale Unterschiede gibt es dennoch, und das Temperaturempfinden gehört ganz oben in diese Liste. Kaum ein Satz ist so deutsch wie der, daß "es zieht". An den Energiepreisen, die auch eine deutsche Spezialität sind, liegt das jedenfalls nicht, denn solche Beobachtungen habe ich schon lange vor Rot-Grün und der emissionshandelsbedingten Strompreisexplosion gemacht. Ratlos bin ich bis heute. Aber immerhin gesund - aber nicht trotz meines Klimagerätes, sondern gerade deswegen, denn ohne den eisigen Luftzug von hinten, wäre ich in einem deutschen Sommer kaum arbeitsfähig. Immerhin habe ich bei meinen Kollegen und Studenten ein Markenzeichen: den Lüfter, ohne den ich kaum irgendwo auflaufe. |
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Im Gedenken an Harry Zingel, ✟ 12. August 2009
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