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Urheberrecht: wer zu heftig zuschlägt...

Galten Kopien aus dem Internet einst als legale Privatkopien, wurde die Rechtslage schon im Sommer 2003 verschärft (wir berichteten). Nunmehr sind Privatkopien aus "offensichtlich illegalen" Quellen (§53 Abs. 1 UrhG) wie Tauschbörsen ebenso illegal wie solche, die unter Umgehung von technischen Kopierschutzmaßnahmen angefertigt werden (§95b Abs. 1 Nr. 5 UrhG), und Import von oder Werbung für solche Maßnahmen und Geräte ist verboten. Doch die Verschärfung des Urhebergesetzes hat möglicherweise das Gegenteil von dem bewirkt, wozu sie gedacht war. Der Schuß ist, so könnte man sagen, nach hinten losgegangen.

Und das hängt nicht nur mit der selbst in Deutschland zunehmenden Verbreitung schneller Internetzugänge zusammen, die inzwischen sogar den Download ganzer Filme in vertretbar kurzer Zeit erlauben - also ohne, wie einst, nächtelang auf die Ankunft des begehrten Werkes der Filmkunst warten zu müssen: so wurden illegale Downloadplattformen wie FTP-Welt oder die berüchtigte Bockwurst zwar vor einiger Zeit in spektakulären Aktionen geschlossen, und Dummheit wurde bestraft: wer sich mit seiner wahren eMail-Adresse im Forum oder bei der Anmeldung geoutet hat, bekam ein Strafverfahren am an den Hals. Aber selbst im Falle der FTP-Welt sind die Strafverfolger noch längst nicht durch die gigabytegroße Kundenliste des Betreibers durch. Dabei hat das Faß inzwischen zahlreiche neue Löcher bekommen.

Was nämlich einst die Bockwurst anbot, Gott hab sie selig, haben inzwischen dutzende neu entstandener Downloadseiten nachgemacht: illegale und anonyme Downloads von Programmen, Filmen, eBooks - kurz allem, was das digitale Herz so begehren kann, komplett mit Seriennummern und Verfahren zur Aktivierung, sofern erforderlich. Neue Kopierschutztechniken der Hersteller wie beispielsweise die Zwangsaktivierung von Software haben dabei oft das illegale Kopieren noch erleichtert, denn alle Produkte eines Herstellers haben nunmehr ein einziges Verfahren zur Registrierung und/oder Aktivierung. Ist dieses erstmal geknackt, und das ist oft schon bei Erscheinen des Produktes der Fall, sind sämtliche Produkte auf einen Schlag "kompromittiert", d.h., frei zugänglich. Wir dürfen zwar die Adressen der Seiten, die sowas anbieten nicht nennen (§95a Abs. 3 UrhG), und auch die zugrundeliegenden Verfahren nicht im Detail beschreiben, aber der verständige Leser weiß gewiß, eine Suchmaschine zu benutzen.

Aber das Unheil hat wohl gerade erst begonnen: bauen Downloadseiten noch auf geschützte und anonymisierte Downloadangebote, die gleichwohl doch zentral und mit allen möglichen technischen Mitteln getarnt auf Servern rund um die Welt verteilt werden, so daß die Rechteinhaber sie finden und beseitigen können, auch wenn dieses immer schwerer wird, funktionieren dezentrale Tauschbörsen nach einem anderen Prinzip: kein zentrales System verwaltet die widerrechtlichen Aktivitäten, nur Links werden geposted - überall, in Foren, auf Webseiten, per eMail. Die dezentrale Software findet selbsttätig ans Ziel, identifiziert mehrere parallel angebotene gleichartige Dateien, so daß das Verschwinden einer Datei den Download nicht stoppt, setzt abgebrochene oder unterbrochene Downloads später fort - kurz, ein digitaler Goldesel, dessen Aktivitäten für Rechteinhaber und Strafverfolger kaum zu entdecken geschweige denn zu stoppen ist. Auch hier dürfen wir die technischen Details nicht berichten, was mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit des Grundgesetzes übrigens sehr zwielichtig ist, aber wir können versichern, daß die entsprechenden zur Umgehung des Kopierschutzes und zur Aufhebung der Tarnung der heruntergeladenen Dateien erforderlichen Softwareprodukte leicht erhältlich und gut dokumentiert sind, so daß sie auch benutzen kann, wer keine Kryptoanalyse beherrscht.

Das aber bringt uns zu einer vernichtenden Analyse: man hat offensichtlich selbst unter Einschränkung der Freiheitsrechte des Grundgesetzes eine Durchsetzung des Urheberrechtsschutzes versucht, ist dabei aber in herkömmlichen Mustern steckengeblieben. Die Urheberrechtsnovelle vor zwei Jahren hat nur verschärft, aber nicht wirklich reformiert: was wir brauchen sind keine Staatsanwälte, die an anonymisierten IP-Nummern scheitern und sich auf der Suche nach den den bösen Kopisten durch gigabytegroße Forenprotokolle wühlen, oder elektronische Mulis, die am digitalen Dukatenscheißen gehindert werden sollen, und schon gar keine Zensurchips in jedem Rechner, sondern ein grundlegend neues Regelungsmodell. Das bisherige System proprietärer Rechte ist offensichtlich gescheitert, und daß man den Kopf immer tiefer in den juristischen Sand steckt bedeutet nicht, daß die Geister, die man bannen will, auch verschwinden, sondern nur, daß man morgen um so heftiger mit den Zähnen knirschen wird. Die Allgemeinverfügbarkeit auch "illegal" kopierter Werke im Cyberspace ist eine sich unaufhaltsam durchsetzende Tatsache. Die bekannte Browsersoftware "Opera" kommt in ihrer neuen Version 8 sogar mit integriertem Tauschbörsenzugang auf den Markt, worüber Microsoft nicht gerade vor Freude im Dreieck springt: Das Recht muß anerkennen, daß es von der Technik überholt wird, und anstatt nur zu reagieren, zur verknappen und zu kriminalisieren, wie es ja ohnehin zeitgeistig ist, einen gänzlich neuen Rahmen setzen. Vielleicht ist die bunte OpenSource-Welt der Linuxer ein Leitbild. Das zu bewerten wäre Aufgabe des Volkes, und nicht eines undemokratischen europäischen Richtliniengebers. Aber daß Kriminalisierung eine Sackgasse ist merkt man wohl erst, wenn ganze Landstriche überdacht und vergittert werden müssen, weil kaum noch ein Computernutzer keine "illegalen" Dateien auf seinem Rechner mehr hat und die Gefängnisse nicht mehr für die vielen bösen Übeltäter ausreichen.

Und dabei sind Zukunftsprognosen einfach: Ist pervasive computing der Metatrend, also das Vorhandensein mobil vernetzter Computer immer und überall, dann folgt daraus, daß mobile MP3-Spieler vielleicht bald kaum noch eigenen Speicher brauchen, denn muß man sich die begehrten Musikdateien heute noch teuer legal oder umständlich illegal aus dem Netz ziehen, so ist deren allgemeine Verfügbarkeit im Äther in wenigen Jahren eine abzusehende Entwicklung. Bei zunehmender Bandbreite und Verbreitung drahtloser Zugangstechniken dürfte es kaum mehr als eine Frage der Zeit sein, bis die Piraten auch Streaming anbieten - und damit das Ende von Radiosendern und Anbietern wie MTV einläuten. Podcasting dürfte dabei erst der allererste Anfang sein...

Wer zu heftig in eine Pfütze haut darf sich nicht wundern, wenn das Wasser überall hinspritzt. Wer Bockwürste konfisziert darf sich nicht über viele neue Wurstanbieter wundern. Daß diese oft nur ein paar Wochen online sind ändert nichts daran, daß sie an Zahl rasch zunehmen. Die Keule des Gesetzes ist machtlos gegen das Volk. Diese Lehre haben die Gesetzgeber noch nichtmal im Ansatz gelernt. Aber von Demokratie hat man ja auch keine Ahnung, in Brüssel noch weniger als in Berlin.

Links zum Thema: Neues Urheberrecht tritt in Kraft | TCPA: Auf dem Weg in die totale Kontrolle | Das Urheberrecht und seine wirklichen Leitbilder (interne Links)

Hinweise auf relevante Inhalte der BWL CD: [Lexikon]: "Produktrechtschutz", "Urheberrechtschutz", "Urhebervertragsrecht". [Manuskripte]: "Recht Produktion.pdf".
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