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Regelungen zur Societas Europaea (SE) erschienen

Durch den Gipfel von Nizza im Dezember 2000 wurde der Weg zur Einführung der neuen Europäischen Aktiengesellschaft ("SE" für "Societas Europaea") freigemacht. Die SE agiert europaweit und unterliegt Gemeinschaftsrecht: eine große Erleichterung auf dem Weg zur Globalisierung. Schon ab 2005 wurden die Regelungen durch das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) vom 22.12.2004 in Deutches Recht eingeführt.

SEEG und SEAG

Das SEEG setzt dabei nur die EU-Verordnung um, die als unmittelbar wirksames Recht weiterhin Geltung besitzt. Insbesondere enthält das SEEG als sogenanntes Artikelgesetz in Artikel 1 das Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz - SEAG). Ja, so kompliziert ist die europäische Gesetzgebung!

Gründung der SE

Eine SE kann auf vier verschiedene Arten gegründet werden:

  • durch Verschmelzung von zwei oder mehr Aktiengesellschaften aus mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten,
  • durch Bildung einer SE-Holdinggesellschaft, an der Aktiengesellschaften oder GmbHs aus mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt sind,
  • durch Gründung einer SE-Tochtergesellschaft durch Gesellschaften aus mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten,
  • durch Umwandlung einer Aktiengesellschaft, die seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat, in eine SE.

  • Das Mindestkapital der SE wurde übrigens auf 120.000 € festgesetzt, im Vergleich zu 50.000 € für die deutsche Aktiengesellschaft kein allzu riesiger Mehrbetrag bedenkt man, daß es sich hier um übernationale Gesellschaften handeln soll. Dies soll gezielt auch GmbHs den Weg in die SE eröffnen. Diese Regelung zum Grundkapital steht allerdings nur in der EU-Verordnung und nicht mehr im SEEG bzw. SEAG.
    Die SE wird dabei auf dieselbe Art wie eine "nationale" AG gegründet, d.h., in das jeweils zuständige Register eingetragen - und zwar in dem Mitgliedsstaat, in dem sie ihren Hauptsitz hat, nur halt nach einheitlichen Vorschriften. Allerdings wird die SE zusätzlich im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht.
    Kein Unternehmen wird dabei gezwungen, sich als SE zu gründen; Gesellschaften mit der bisherigen Rechtsverfassung müssen sich allerfings in allen Staaten, in denen sie tätig werden wollen, jeweils neugründen, was mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden sein kann. Es liegt daher auf der Hand, daß die Gründung einer SE im Rahmen von grenzüberschreitenden Übernahmen bzw. Verschmelzungen besonders leicht ist, weil hier ohnehin gesellschaftsrechtliche Formalitäten fällig werden. Es wundert daher nicht, daß SE-Gründungen oft im Zusammenhang mit den diversen internationalen "Übernahmeschlachten" im Gespräch sind.
    Das SEAG enthält für alle Gründungsarten Vorschriften zum Gläubigerschutz (insbes. §§8 und 13 SEAG).

    Grundstruktur der SE

    SEEG und Verordnung lassen zwei grundsätzliche Konstruktionsmuster der SE zu, die als dualistisches und monistisches System bezeichnet werden:

    • wird das dualistische System gewählt, so muß ein Vorstand als Leitungsorgan und ein Aufsichtsrat als Kontrollorgan eingesetzt werden. Das entspricht im wesentlichen der auch in Deutschland üblichen Struktur der Aktiengesellschaft.
    • Im Rahmen des sogenannten monistischen Systems wird die SE von einem Board geleitet, das als Verwaltungsrat die Leitungs- und Aufsichtsfunktion in einer Einheit wahrnimmt. Das entspricht in etwa dem im angelsächsischen Raum üblichen Modell,
    Die Festlegung, welches Modell gewählt werden soll, ist bei Gründung in der Satzung (im Statut) zu treffen. Die Anteilseigner haben also insofern freie Systemwahl; allerdings läßt die EU-Verordnung die Möglichkeit, im nationalen Recht fehlende Regelungen auf nationaler Ebene zu erlassen, so daß diese grundsätzliche Systemwahl in den einzelnen EU-Staaten eingeschränkt werden kann.

    Dualistisches System

    Im dualistischen System hat das Leitungsorgan aus mindestens zwei Personen zu bestehen (§16 SEAG). Die Anzahl der Mitglieder des Aufsichtsorganes hängt von der Höhe des Grundkapitals ab:

    • Grundkapital bis 1.500.000 €: neun Mitglieder
    • Grundkapital bis 10.000.000 €: fünfzehn
    • Grundkapital > 10.000.000 €: einundzwanzig.
    Zufällig oder nicht entspricht das genau der Regelung aus §95 AktG für die deutsche Aktiengesellschaft für den Aufsichtsrat.
    Die Mitglieder des Aufsichtsorganes werden übrigens von den Anteilseignern bestimmt, die auf diese Art ihre Kontrolle über das Leitungsorgan ausüben können. Hierzu ist vierteljährlich über den Gang der Geschäfte zu berichten. Die im internationalen Bereich üblichen Quartalsberichte werden auf diese Art auch im europäischen Raum verbindlich.

    Monistisches System

    Monistisches System Wählt die Gesellschaft dieses Normmodell, so besteht nur ein einheitliches Leitungsorgan, das als Verwaltungsrat bezeichnet wird (§22 SEAG). Der Verwaltungsrat ist wie ein Vorstand für Leitung, Buchführung, Rechenschaftslegung und Bilanzierung verantwortlich. Er hat die Hauptversammlung einzuberufen, wenn das Wohl der gesellschaft es erfordert.
    Der Verwaltungsrat besteht aus mindestens drei Mitgliedern (§23 SEAG), aber bei höherem Grundkapital steigt die Höchstzahl der Mitglieder:

    • Grundkapital bis 1.500.000 €: neun Mitglieder
    • Grundkapital bis 10.000.000 €: fünfzehn
    • Grundkapital > 10.000.000 €: einundzwanzig.
    Der Verwaltungsrat setzt sich aus Aktionären und Mitarbeitervertretern zusammen (§24 SEAG). Insofern ist für SEs im deutschen Raum die Mitbestimmung auch hier wieder festgelegt, was eine deutsche Besonderheit ist.
    Zur Vertretung nach außen bestellt der Verwaltungsrat einen oder mehrere Direktoren (§40 SEAG). In den §§41ff SEAG werden eine Vielzahl von Detailvorschriften gegeben.

    Beteiligung der Arbeitnehmer

    Hierzu wurde Ende 2004 das Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz - SEBG) in Kraft gesetzt. Es regelt ein „besonderes Verhandlungsgremium“ (§§4ff SEBG) als Vertretung der Arbeitnehmer, das als Vertretungsorgan zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer durch die SE dient. Es hat Sitze und damit Mitbestimmung im Aufsichtsorgan bzw. im Verwaltungsrat. In den §§11ff SEBG wird das Verhandlungsverfahren im Detail geregelt. Kommt keine alle Seiten zufriedenstellende Einigung zustande, gelten die Standardvorschriften im Anhang der Richtlinie. Danach ist die Geschäftsleitung der SE insbesondere verpflichtet, regelmäßig über Unternehmensvorgänge zu berichten und die Arbeitnehmervertretung auf der Grundlage dieser Berichte zu unterrichten und zu konsultieren. Diese Berichte müssen Aussagen enthalten zu

    • aktuelle und künftige Geschäftspläne,
    • Produktions- und Verkaufszahlen und deren Auswirkungen auf die Belegschaft,
    • Änderungen in der Geschäftsleitung,
    • Zusammenschlüsse,
    • Veräußerungen von Unternehmen oder Unternehmensteilen,
    • mögliche Schließungen und Entlassungen.
    Über Arbeitsverträge, betriebliche Rentenversicherungen und ähnliche Themen wurde übrigens nichts in die Richtlinie geschrieben: hier bleibt es (zumindestens derzeit) bei den bekannten nationalen Arbeits- und Sozialrechtsvorschriften.
    Zudem wird in den §§22ff SEBG der europäische Betriebsrat geregelt. Die Grundsätze der Zusammenarbeit in den §§40-44 SEBG entsprechen im wesentlichen den entsprechenden Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes hinsichtlich vertrauensvoller Zusammenarbeit, Geheimhaltung und Vertraulichkeit, Schutz der Arbeitnehmervertreter, Mißbrauchsverbot usw. Deutsche Vorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung werden insofern in den europäischen Raum übernommen.

    Praktischer Nutzen der SE

    Die praktische Bedeutung der SE besteht darin, daß Unternehmen mit Niederlassungen in mehreren Mitgliedstaaten auf der Grundlage einheitlicher Regeln fusionieren und mit einem einheitlichen Management und Berichtssystem überall in der Europäischen Union tätig werden können, ohne mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand ein Netz von Tochtergesellschaften errichten zu müssen, für die unterschiedliche nationale Vorschriften gelten. Vorteile ergeben sich insbesondere durch deutlich geringere Verwaltungs- und Rechtskosten, eine einzige Rechtsstruktur, eine einheitliche Geschäftsführung und ein einheitliches Berichtssystem.
    Zudem läßt sich ein als Europäische Aktiengesellschaft verfaßtes Unternehmen schnell und problemlos umstrukturieren, um die Geschäftsmöglichkeiten, die der Binnenmarkt bietet, optimal nutzen zu können. Europäische Aktiengesellschaften mit Geschäftsinteressen in mehreren Mitgliedstaaten können Landesgrenzen ohne weiteres überwinden, wenn dies aufgrund sich ändernder Geschäftsbedingungen erforderlich ist, da das SE-Statut die Verlegung des Satzungssitzes erlaubt. Projekte auf europäischer Ebene wie Verkehrs- oder Energieprojekte im Rahmen der Transeuropäischen Netze (z.B. Modernisierung des Schienen- und Straßennetzes) lassen sich besser über eine Europäische Aktiengesellschaft realisieren, die privates Risikokapital leichter mobilisieren kann als eine Reihe von inländischen Gesellschaften, die alle verschiedenen innerstaatlichen Rechtsordnungen unterliegen. Allerdings hemmen die nationalen Sonderregelungen, die von der EU-Richtlinie ausdrücklich zugelassen werden, diese übernationale Geschäftstätigkeit. Insbesondere daß die deutsche Arbeitnehmermitbestimmung in das Gesetz eingebracht wurde, wird von ausländischen Investoren, die sich nicht "reinregieren" lassen wollen, oft nicht verstanden.

    Die Besteuerung der SE

    Eine SE wird steuerlich genauso wie jedes andere multinationale Unternehmen nach den auf Ebene der Gesellschaft oder Zweigniederlassung geltenden innerstaatlichen Steuervorschriften behandelt. Steuerlich ist es daher vorteilhaft, wenn eine durch Verschmelzung gegründete SE, die in einem Mitgliedstaat eingetragen ist, in mehreren Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen unterhält, weil damit Differenzen im Steuerrecht der einzelnen Staaten ausgenutzt werden können, und solche Diffderenzen werden vermutlich noch Jahrzehnte bestehen. Die Ausnutzung steuerlicher Vorteile durch konzerninterne Verrechnungspreise (und die damit verbundene „Verschiebung“ von Gewinnen in Billigsteuergebiete) ist also auch im Rahmen der SE möglich, im Bereich des deutschen Rechts aber durch die Vorschriften des Außensteuerrechts eingeschränkt.

    Links zum Thema

    Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) (externer Link)

    Hinweise auf relevante Inhalte der BWL CD

    [Lexikon]: "Aktiengesellschaft", "Societas Europaea". [Manuskripte]: "Rechtsformen Skript.pdf".
    Diese Hinweise beziehen sich auf die zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels aktuelle Version der BWL CD. Nicht alle Inhalte und nicht alle Stichworte sind in älteren Fassungen enthalten. Den tagesaktuellen Stand ersehen Sie aus dem Inhaltsverzeichnis oder dem thematischen Verzeichnis.


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