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Unkonventionelles Denken: ein Beispiel

Gestern haben wir uns an dieser Stelle über kreatives Denken in Prüfungen, seine Ursachen, warum es so schwer ist und warum es so selten ist ausgelassen. An dieser Stelle bringen wir nun ein Beispiel für diese kreative Denkweise, das Sie unbedingt erst lesen und ausführlich überdenken sollten, bevor Sie sich die Lösung ansehen, die am Ende des Textes zu finden ist.

Ein scheinbar einfaches Problem

In zwei Gefäßen befinden sich jeweils 100 ml einer roten und 100 ml einer blauen Flüssigkeit. Mit einem kleinen Gefäß werden zunächst 10 ml der roten Flüssigkeit in das Behältnis mit der blauen Substanz umgefüllt. Es befinden sich nunmehr also links im "roten" Glas nur noch 90 ml rote Flüssigkeit, während im blauen Glas jetzt 110 ml einer Mischung aus viel Blau und einem bißchen Rot anzutreffen sind. Anschließend werden von dem Rot-Blau-Gemisch, das im ersten Schritt entstanden ist, wiederum 10 ml in das rote Glas zurückgebracht. Klingt schwierig? Man kann es folgendermaßen visualisieren:

Visualisierung des Problemes

Eine scheinbar einfache Frage

Wir wollen jetzt einfach nur wissen, ob nach dem jeweiligen Prozentverhältnis sich mehr blaue Flüssigkeit im roten Glas, oder mehr rote Flüssigkeit im blauen Glas befindet, also das Mischungsverhältnis in beiden Gläsern ergründen. Bei beiden Umfüllaktionen wurden dabei jeweils genau 10 ml bewegt, das erste Mal reines Rot und das zweite Mal Blau mit ein bißchen Rot drin. Ist also mehr Rot im Blau als Blau im Rot oder umgekehrt oder überhaupt?

Vorsicht, Falle!

Das scheinbar so triviale Problem hat es in sich, und in meinen Lehrveranstaltungen schon zu heftigsten Debatten und endlosen Auseinandersetzungen geführt. Es will sorgfältig durchdacht und überlegt werden; man kann es berechnen, muß es aber nicht. Also? Wie ist es?

Eine überraschende Lösung

Selbstverständlich (!) ist in beiden Gläsern nach der Umfüllaktion das Verhältnis der beiden Substanzen gleich, es befindet sich also, in Prozent ausgedrückt, so viel Rot im Blau, wie sich Blau im Rot befindet.

Das kreative Moment

Das Problem ist hier zunächst das Verständnis der Sache: da bei der zweiten Umfüllaktion in den 10 ml, die bewegt werden, keine reine Farbe mehr vorliegt, sondern bereits ein Blau-Rot-Gemisch, glauben die meisten Befragten instinktiv, daß das Verhältnis verschieden sein muß, meist daß links weniger Blau im Rot ist als sich rechts Rot im Blau befindet, denn die absolute Menge Rot, die zuerst bewegt wird, ist zweifellos kleiner als die absolute Menge Blau, die das zweite Mal umgefüllt wird, weil im Blau sich dann ja schon ein wenig Rot aufhält. Zudem wird die Möglichkeit der Gleichheit des Mischungsverhältnisses von der Frage, die nur eine Ungleichheit suggeriert, gar nicht angeboten, und daher zusätzlich schwieriger: dabei ist die Lösung ganz einfach. Da nach wie vor je 100 ml Rot und 100 ml Blau vorhanden sind, kann das Verhältnis in beiden Gläsern nach der Umfüllaktion nicht unterschiedlich sein, weil das ja bedeuten würde, daß die Gesamtmenge Rot und die Gesamtmenge Blau in beiden Gläsern unterschiedlich wäre.

Was wir daraus lernen können

Diese Denksportaufgabe, mit der ich viele meiner Studenten und Lehrgangsteilnehmer belästige, läßt tiefer blicken als es den Befragten häufig lieb ist, besonders dann, wenn sie hartnäckig, manchmal tagelang und in komplizierten aber dennoch falschen Beweisführungen auf einer Ungleichheit der Mischungsverhältnisse bestehen: sie beweist nämlich unsere Unfähigkeit zu unkonventionellem Denken, also unsere Voreingenommenheit. Da bei der zweiten Umfüllaktion ja schon ein Gemisch transportiert wird, im Gegensatz zu einer reinen Farbe beim ersten Umfüllen, könne das Verhältnis hernach nicht gleich sein - lehrt uns der "gesunde Menschenverstand". Doch der trügt, wie so oft. Das zu beweisen, also die Leute in ihren eingefahrenen Denkmustern zu verunsichern und aus ihrer täglichen Gewohnheit zu reißen, das ist der pädagogische Nutzen der Aufgabe.

Direkt anwendbar

Wer meint, dies sei eine theoretische Spielerei ohne praktische Relevanz, kann in der Betriebswirtschaft leicht eines Besseren belehrt werden. Dort ist es nämlich auch oft so, daß der "gesunde Menschenverstand" den Entscheidungsträger sehr in die Irre führt. Wer das nicht glaubt, kann sich hier davon überzeugen.

Links zum Thema

Wie Kreativitätstechniken bei Prüfungen helfen | Warum nicht alles, was Verlust erwirtschaftet, auch abgeschafft werden sollte (interne Links)


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