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Kundenzahlungszielrechnung: eine neue Prüfungsfalle | ||||||||
Die Zeiten werden härter, die Zahlungsmoral wird schlechter und die Liquidität wird dünner: das wissen auch die Kämmerlinge. Kein Wunder also, daß sich auch die Prüfungslyriker des Themas bemächtigt haben, und natürlich wurde eine besonders prächtige Prüfungsfalle draus gezaubert. Doch wie bei fast allen Prüfungsfragen der gehobenen Kategorie ist es eigentlich ganz einfach, wenn man nur richtig an die Sache rangeht. Schauen wir also mal nach, was neuerdings Prüfungsteilnehmern so alles vor die Flinte gerät, und wie man es zünftig erlegt: Ein Unternehmen verfüge über ein Budget an liquiden Zahlungsmitteln in Höhe von 3,66 Mio. Euro. Dieser Betrag besteht aus vorhandenem Bargeld in Kassen und Bankkonten sowie ungenutzten Girokreditlinien. Gleichzeitig kommen aus der Controllingabteilung die folgenden Daten:
Wir erfahren gleichzeitig, daß die durchschnittliche Lagerdauer des Materials 24 Tage betrage, die durchschnittliche Lagerdauer der Fertigprodukte 12 Tage und der eigentliche Produktionsprozeß vier Tage in Anspruch nehme. Außerdem sei das Zahlungsziel gegenüber den Zulieferern 30 Tage. Wie lange aber darf das Zahlungsziel der Kunden maximal sein, um nicht in Gefahr der Zahlungsunfähigkeit zu geraten? Uh-Umphfff... Der Adrenalinspiegel steigt, die Hände beginnen zu zittern und wo gestern noch ein wohlgeordnetes Wissensgebiet war, klafft nun in der Prüfung ein großes, schwarzes Loch. Das wird dadurch nicht besser, daß die Dozenten in der vorangegangenen Leerveranstaltung zwar was über Liquidität und Kennzahlen gelassen haben, und wenn es eine Lehrveranstaltung war sich auch über Skontozins und zugehörige Buchungen ausgelassen haben, aber wie zum Teufel berechnet man ein mögliches Kundenziel? Die scheinbare Hammeraufgabe verliert viel von ihrem Schrecken, wenn man zunächst die verfügbaren Daten zusammensetzt. So wissen wir, daß für das Material pro Tag 60.000 Euro gebraucht werden, die Teil des Finanzbudgets sind. Diesen Betrag brauchen wir aber für 24 Tage Durchschnittslagerdauer, für 12 Tage Fertigproduktlagerung, für 4 Tage Produktionsprozeß und nicht für 30 Tage Zahlungsziel, denn wir zahlen erst zum letzten Moment, wie allgemein üblich. Für das Material brauchen wir also 24 + 12 + 4 – 30 = 10 Tage jeweils 60.000 Euro oder insgesamt 600.000 Euro. OK, ein Anfang. Die Löhne kosten pro Tag 20.000 Euro, und die brauchen wir 12 + 4 = 16 Tage, denn hier gibt es kein Zahlungsziel. Also brauchen wir aber (12 + 4) • 20.000 = 320.000 Euro für die Lohnkosten, bevor ein Produkt den Markt erreicht. Ebenso benötigen wir (24 + 12 + 4) • 10.000 = 400.000 Euro für die Verwaltung. Wir könnten also auch sagen: (24 + 12 + 4 – 30 + X) • 60.000 = 10 • 60.000 + 60.000X Der linke Teil jeder Formel steht dabei für die Zahl der Tage, die "ohnehin" im Produktionsprozeß verstreichen, bevor irgendein Produkt den Kunden erreicht. X ist das gesuchte Zahlungsziel. Da man die Konstanten aber ausrechnen kann, werden die X einfach ausgeklammert. Wir haben es also mit einem Gleichungssystem zu tun, aber nur mit einer einzigen Unbekannten. Also kann man alle drei Gleichungen einfach addieren, und erhält 600.000 + 320.000 + 400.000 + 90.000 X = 3.660.000. Und schon wird aus der Horrorfrage ein echter Punktesammler, denn diese Gleichung kann man zu 90.000 X = 2.340.000 vereinfachen, weil die Konstanten am Anfang ja einfach von den 3,66 Mio. Euro abgezogen werden. Und also erhalten wir als Lösung 26 Tage maximales Zahlungsziel... so einfach kann das sein! Jetzt da die Aufgabenersteller wissen, daß Sie diese Datei gelesen haben, werden sie vielleicht versuchen, noch eins draufzulegen: wie hoch müßte das Zahlungsmittelbudget sein, wenn wir mit nur 21 Tagen Zahlungsziel auskommen, weil dies marktüblich sei? Nichts einfacher als das: Wir haben oben schon festgestellt, daß wir insgesamt (!) 1.320.000 Euro brauchen, um überhaupt Produkte auf den Markt zu bringen, denn dies ist die Summe aus den drei Konstanten in der vorletzten Gleichung. Pro Tag benötigen wir 90.000 Euro. Wollen wir also mit nur 21 Tagen Zahlungsziel auskommen, so bräuchten wir 1.320.000 + 90.000 • 21 = 3.210.000 Euro, oder 450.000 Euro weniger als ursprünglich zur Verfügung stehen. Zum Erfolg gibt es keinen Lift, man muß immer die Treppe benutzen. Das ist auch bei Prüfungen so. In den letzten Jahren sind in den Lehrgängen "Technischer Betriebswirt" und "Betriebswirt/IHK" die Prüfungen kontinuierlich schwerer geworden, was auch (aber nicht nur) damit zusammenhängt, daß Seiten wie diese hier immer mehr Tricks der Aufgabenlyriker verraten, diese also von einem immer besseren Wissensstand ihrer Schützlinge ausgehen. Zu dem begehrten Zertifikat kommen Sie also wie zu den Symphonikern: üben, üben, üben. Fall sie obige Darstellung noch nicht ganz klar sein sollte, so fragen sie im Forum für Betriebswirtschaft nach, was kostenlos aber nicht umsonst ist. Nur tun Sie das nicht erst am Abend zuvor, denn was lange währt wird endlich gut. Das gilt auch für Prüfungsvorbereitungen. Ach ja, den vorstehend abgebildeten Zahlungsziel-Deckungsrechner, der dieses Problem schön mit ganzem Lösungsweg vorrechnet, findet der stolze Besitzer einer BWL CD im Excel-Ordner. Links zum Thema: IHK-Lehrgänge: ein grundlegender Strategiewechsel? | Forum für Betriebswirtschaft | Formelsammlung der Betriebswirtschaft (interne Links) Literatur: Zingel, Harry, "BWL-Formelsammlung", Wiley, Weinheim 2006, ISBN 3-527-50216-5, auf der BWL-CD enthalten. Hinweise auf relevante Inhalte der BWL CD: [Lexikon]: "Zahlungsfähigkeit", "Zahlungsunfähigkeit", "Zahlungsziel". [Manuskripte]: "Finanzierung Skript.pdf", "Investition Skript.pdf". [Excel]: "Zahlungsziel-Deckungsrechner.xls". |
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Im Gedenken an Harry Zingel, ✟ 12. August 2009
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