Seitdem das Europäische Parlament vor einem Jahr die verbindliche Einführung der International Accounting Standards (IAS) für alle börsennotierten Unternehmen beschlossen hat, war unklar, wie sich diese Einführung gestalten wird, und welche Auswirkungen sie auf das deutsche Handelsrecht haben wird. Und die Zeit drängt, denn da ein IAS-Abschluß über Vorjahreszahlen verfügen muß, ist die Einführung ab 2005 eigentlich schon eine ab 2004, und das ist nicht mehr lange hin. Am 25.03.2003 hat das Bundesjustizministerium nun die Eckpunkte von Reformen zu "Anlegerschutz und Unternehmensintegrität" vorgestellt, die auch für die IAS-Einführung relevant sind. Dieser Beitrag faßt die Eckpunkte der geplanten Reformen zusammen. |
Offensichtlich sollen flankierende Reformen im Handelsrecht nicht nur nach den diversen Pleiten und Skandalen der letzten Zeit Anlegerschutz und Unternehmensintegrität stärken, sondern zugleich auch das HGB den IAS annähern. Während das HGB für Einzelabschlüsse zumindest mittelfristig bestehenbleiben soll, soll es bis 2005 doch in vielen Details IAS-kompatibler werden:
- Angeblich nicht mehr zeitgemäße HGB-Regelungen sollen "entrümpelt" werden. Das betrifft insbesondere die Passivierung von Aufwandsrückstellungen und die diversen Bewertungsvereinfachungsrechte gemäß §240 Abs. 3 und 4 sowie §256 HGB. Insbesondere ist an die Abschaffung der LIFO-Methode gedacht, die ja auch im Steuerrecht beabsichtigt wird;
- Einführung der Fair-Value-Bewertung für Finanzierungsinstrumente im Konzernabschluß, soweit hierfür liquide Märkte bestehen;
- Prüfung weiterer Möglichkeiten zu Ansatz und Bewertung von Vermögensgegenständen und Rückstellungen;
- Bei der Prüfung sind die Auswirkungen auf die steuerliche Gewinnermittlung wegen der Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz besonders zu berücksichtigen;
- Verkürzung der Offenlegungsfristen bei Veröffentlichung in Papierform auf 6 Monate und bei elektronischer Offenlegung auf 3 Monate, so daß der "Fast Close" auch in Deutschland zum Standard wird;
- Offenlegung der Prüferberichte bei Insolvenz der geprüften Gesellschaft auf Verlangen der Gläubigerversammlung aber Widerspruchsrecht des Insolvenzverwalters bei Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.
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Zugleich hat die Bundesregierung einen Maßnahmekatalog zur "Stärkung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes" bekanntgegeben, der folgende zehn Punkte enthält:
- Persönliche Haftung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft: Verbesserung des Klagerechts der Aktionäre. Das Recht der Aktionäre, eine Haftungsklage der Gesellschaft gegen ihre Organe durchzusetzen (Klageerzwingungsrecht gemäß §147 AktG), soll gestärkt werden. Unter anderem soll für das Minderheitenrecht künftig ein wesentlich geringerer Aktienbesitz als bisher, nämlich im Umfang von 1% des Grundkapitals (statt bisher 10%) oder mit einem Börsen- oder Marktwert von 100.000 Euro (statt bisher 1 Mio. Euro), ausreichen.
- Einführung der persönlichen Haftung von Vorstands- und Aufsichtsratmitgliedern gegenüber Anlegern für vorsätzliche oder grobfahrlässige Falschinformationen des Kapitalmarktes; Verbesserung der kollektiven Durchsetzung von Ansprüchen der Anleger. Die mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz begonnene Verbesserung der Ansprüche von Anlegern bei Falschinformationen des Kapitalmarkts (§§ 37b, 37c Wertpapierhandelsgesetz) soll weiter fortgeführt werden: Künftig soll nicht nur der Emittent von Wertpapieren, d.h. das Unternehmen selbst, den Anlegern gegenüber haften, sondern zusätzlich auch die verantwortlichen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder persönlich.
- Weiterentwicklung des Deutschen Corporate Governance Kodex, insbesondere zur Transparenz von aktienbasierten oder anreizorientierten Vergütungen ("Aktienoptionen") der Vorstände. Hierzu sollen zahlreiche neue Offenlegungspflichten in den Kodex aufgenommen werden.
- Fortentwicklung der Bilanzregeln und Anpassung an internationale Rechnungslegungsgrundsätze (vgl. oben). Die Anwendung der International Accounting Standards (IAS) sollte über den Pflicht-Anwendungsbereich der EU-Verordnung (Konzernabschluß kapitalmarktorientierter Unternehmen) hinaus jeweils als Unternehmenswahlrecht vorgesehen werden für den Konzernabschluß der nicht-kapitalmarktorientierten Unternehmen, beschränkt auf Informationszwecke (Offenlegung nach den §§325 bis 329 HGB) auch für den Einzelabschluß sowohl der kapitalmarktorientierten als auch der übrigen Unternehmen.
- Stärkung der Rolle des Abschlußprüfers: Sicherung der Unabhängigkeit des Abschlußprüfers durch Unvereinbarkeit bestimmter Beratungsdienstleistungen mit der Abschlußprüfung, d. h. insbesondere Verbot der Buchführung (wie bisher), Entwicklung und Einrichtung von finanziellen Informationssystemen, Bewertungsgutachten, Aktuartätigkeit, Einrichtung, Überwachung oder Durchführung der Innenrevision, Managementfunktion, Tätigkeit als Finanzdienstleister. Geprüft wird auch eine Verbot der Rechtsberatung (einschließlich Steuerberatung), soweit mit - gerichtlicher oder außergerichtlicher - Vertretung des Mandanten verbunden.
- Überwachung der Rechtmäßigkeit konkreter Unternehmensabschlüsse durch eine unabhängige Stelle ("Enforcement"), d.h., Überwachung der Rechtmäßigkeit konkreter Unternehmensabschlüsse durch eine außerhalb des Unternehmens stehende, nicht mit dem gesetzlichen Abschlußprüfer (Wirtschaftsprüfer) identische unabhängige Stelle. Ziel ist ein Privatrechtlich verfaßtes Gremium unter staatlicher Aufsicht nach dem Vorbild des DRSC.
- Fortführung der Börsenreform und Weiterentwicklung des Aufsichtsrechts durch Fortsetzung der mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz begonnenen Börsenreform im Hinblick auf die zunehmend komplexeren Anforderungen an Effizienz, Sicherung des Anlegerschutzes und internationale Zusammenarbeit; Überprüfung des Verhältnisses von Börsenaufsicht, öffentlich-rechtlicher Börse und Börsenträger. Erlaß einer Rechtsverordnung zur Konkretisierung des Verbots der Kurs- und Marktpreismanipulation und Abgrenzung zur erlaubten Kurspflege; Überprüfung des überkommenen Systems der Teilung der Börsenaufsicht in Bundes- und Länderzuständigkeiten daraufhin, inwieweit es den hohen Anforderungen an Anlegerschutz und Effizienz noch entspricht; Verbesserung der Markttransparenz, z.B. bezüglich Wertpapier-Leerverkäufen; Sicherstellung eines anlegerfreundlichen Zugangs zu Unternehmensbekanntmachungen durch Bündelung der Informationskanäle, z.B. unter Einsatz des elektronischen Bundesanzeigers; Befugnis der BAFin, gegenüber Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften bei wiederholten oder schweren Verstößen gegen kapitalmarktrechtliche Verhaltenspflichten ein befristetes Bestellungsverbot anzuordnen; Veröffentlichung von Sanktionen für kapitalmarktrechtliche Pflichtverletzungen.
- Verbesserung des Anlegerschutzes im Bereich des sog. "Grauen Kapitalmarkts" durch bessere Aufklärung der Verbraucher durch Bundesregierung, Verbände, Medien und in den Schulen über die Funktionen des Kapitalmarkts, Risiken der Anlagen, bestehende Schutzvorschriften bzw. Möglichkeiten von Schadensersatzansprüchen usw.; zudem Einführung einer Prospektpflicht für öffentlich angebotene Kapitalanlagen, bei denen besonders hohe Schäden der Anleger festzustellen sind.
- Sicherstellung der Verläßlichkeit von Unternehmensbewertungen durch Finanzanalysten und Rating-Agenturen, was mit der bevorstehenden Einführung von Basel II kompatibel sein dürfte; zudem Weiterentwicklung und Ausdehnung der Wohlverhaltens- und Compliance-Regeln für Finanzanalysten.
- Verschärfung der Strafvorschriften für Delikte im Kapitalmarktbereich, insbesondere bessere Abgrenzung der Tatbestandsmerkmale und Anhebung des Strafrahmens.
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Insgesamt ist erkennbar, daß das alte ("überkommene") Vorsichtsprinzip (§252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) dem Anlegerschutz weichen soll. Offensichtlich nicht vorsichtige Bewertungsprinzipien wie "Fair Value" sollen gerade bei kaum "fair" zu bewertenden Vermögensgegenständen wie Finanzderivaten eingeführt werden. Offensichtlich will die Bundesregierung den Finanzmarkt weiter stärken, was auch durch die nunmehr ja auch beschlossene zwangsweise Einführung eines Handels mit Emissionszertifikaten unterstützt werden soll. Statt vorsichtiger Kaufleute und produzierender Wirtschaft wird durch diese Reform also die Kasinowirtschaft der Finanzspekulanten und Aktienjongleure gefördert; allerdings soll der Anleger besser geschützt werden. Das mag die Sache für eine Weile etwas sicherer machen; vor dem großen Crash kann man die Anleger freilich nicht schützen. Der wird um so tiefer je weiter man den Karren zunächst in den Derivatesumpf gefahren hat. Und daß statt Kapitalmarktreform ein Verbot der Derivatgeschäfte und entschädigungslose Entwertung aller Derivatkontrakte erforderlich gewesen wäre, hat die Bundesregierung nicht eingesehen. Vielleicht glaubt sie auch, es nicht mehr zu können, etwa angesichts dieser Zahlen. Doch wer heute den Kopf in den Sand steckt, knirscht morgen mit den Zähnen. |